Bild:Erik Wagler/Regionalmanagement Erzgebirge

Die Bahn als Standortfaktor für das Erzgebirge

Wer sind Sie und was ist Ihre Aufgabe bei der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH? (SD)

Mein Name ist Jan Kammerl – seit 2006 für die landkreiseigene WFE GmbH tätig, verantworte ich seit über zehn Jahren als dessen Leiter den „Geschäftsbereich Wirtschaftsservice / Fachkräfte“. Unsere Hauptaufgabe liegt in der Unterstützung regionaler Unternehmen bei deren Weiterentwicklung unter den jeweiligen Rahmenbedingungen (aktuell v. a. Demographie, Strukturwandel, Corona-Krise) – sowohl durch die Entwicklung und Vorhaltung konkreter Services bzw. Dienstleistungen als auch durch die Initiierung und Realisierung strategischer Projekte. (JK)

 

Was macht die Wirtschaftsförderung Erzgebirge genau? Welche Aufgaben hat die Wirtschaftsförderung Erzgebirge? (SD)

Als breit aufgestelltes Dienstleistungsunternehmen des Erzgebirgskreises sind wir in mehreren Bereichen „unterwegs“. Neben den klassischen Aufgaben wie Fördermittelberatung,  Gewerbeflächenvermittlung oder Gründerseminaren haben sich in den letzten Jahren neue Schwerpunkte wie der Aufbau von Innovationsnetzwerken und die regionale Fachkräftesicherung herauskristallisiert. Auch der weitere Ausbau der touristischen Infrastruktur (z. B. Wegenetze) steht auf der WFE-Agenda. Über ein intensives Regionalmarketing werden die Vorzüge des Erzgebirges als Region zum Leben und Arbeiten kommuniziert – in Abgrenzung zu anderen Räumen zukünftig als „progressive Provinz“.

 

Wie bewerten Sie das Bahnangebot in Westsachsen und im Landkreis Erzgebirge? (SD)

Während das Bahnangebot im Erzgebirgskreis (Erzgebirgsbahn, Chemnitz-Bahn) als gut einzustufen ist, stellt insbesondere die überregionale Schienen-Anbindung von Chemnitz/Westsachsen ein jahrzehntelanges Ärgernis dar! (JK)

 

Weshalb ist ein gutes Bahnangebot ein wichtiger Standortfaktor und welche Folgen hat ein unzureichendes Bahnangebot? (SD)

Die Verkehrsanbindung von Regionen und insbesondere das jeweilige Bahnangebot stellen ganz besonders mit Blick auf die regionale Fachkräftesicherung wichtige Kriterien bei der Gewinnung von Zuwanderern – mit deren heutigen Bedürfnissen – dar und mindert z. B. die „Wegzugs-Neigung“ junger Menschen für ihre Ausbildung allein aus Mobilitäts-Gründen.

Dies haben u. a. auch die Bürgermeister aus dem Erzgebirge parteiübergreifend deutlich gemacht, als 2015/16 im Zuge der NVP-Fortschreibung der gesamte SPNV im Erzgebirge zur Disposition stand. (JK)

 

Weshalb achten Unternehmen auf eine gute Bahnanbindung und was wird unter einer guten Bahnanbindung verstanden? (SD)

Unter den Stichworten Arbeitgeberattraktivität und Work-Life-Balance haben auch neue Mobilitätsbedürfnisse künftiger Mitarbeiter inzwischen eine andere Relevanz bei regionalen Unternehmen im Erzgebirge. Wer eine gute SPNV-Erreichbarkeit für Pendler und Schichtarbeiter oder eine zeitgemäße Azubi-Mobilität gewährleisten kann, ist inzwischen klar im Vorteil. Die Bahn ist ebenfalls ein beliebtes Reisemittel, wie hat sich die Bedeutung der Bahn für den Tourismus entwickelt? Diese Bedeutung ist in den letzten Jahren ganz klar wieder gestiegen. Insbesondere Tagesausflügler (Wanderer, Radfahrer, Kulturinteressierte) nutzen vermehrt die regionalen SPNV-Angebote und mit einer neuen Gästeklientel im Zuge der Ernennung zur UNESCO-Welterberegion wird nach Meinung vieler Experten auch der touristische An- und Abreiseverkehr per Bahn weiter zunehmen.(JK)

 

Wie müsste das Bahnangebot der Zukunft im Erzgebirge und Westsachsen gestaltet werden? Was sind Ihre Vorschläge, Wünsche und Forderungen? (SD)

Neben IC-Anbindungen in Richtung Dresden/Nürnberg und Berlin sollte auch nach Westen mindt. zum Knoten Erfurt eine entsprechend hochwertige Verbindung hergestellt werden. Der zeitnahe, vollständige zweigleisige Ausbau incl. Gesamtelektrifizierung der Strecke Chemnitz-Leipzig bildet sowohl die Grundlage für die Durchbindung von in Leipzig endenden IC-Linien als auch für eine vollständige Integration in das S-Bahn-Netz Mitteldeutschland. Der weitere (Angebots-)Ausbau des Chemnitzer Modells in Richtung Gößnitz, Limbach-Oberfrohna, Rochlitz, Döbeln ist zeitnah umzusetzen.Dabei darf es aber nicht zu weiteren, schlecht geplanten Projekten wie der vsl. drei Jahre währende (!) Ausbau der Bestandsstrecke Chemnitz-Aue kommen. Die SPNV-Taktung auch im Erzgebirge darf nicht mehr unter einer Stunde liegen. Die angekündigte Wiederaufnahme des Personen-Bahnverkehrs in das Mittelzentrum und den Bundeswehrstandort Marienberg sollte zügig realisiert werden. Die mittlerweile etablierten touristischen Bahn-Angebote (Erzgebirgsiche Aussichtsbahn, Cranzahl-Chomutov) gehören verstetigt. Neueste Forschungserkenntnisse aus dem Umfeld des „Smart Rail Connectivity Campus“ an der Bahnstrecke Annaberg-Schwarzenberg können im Erzgebirge bzw. in Westsachsen pilothaft erprobt und angewendet werden. Bestenfalls ergeben sich daraus weitere Wertschöpfungspotenziale für die regionale Wirtschaft, die Alternativen zur Automotive-Zulieferkette sucht. (JK)